Irgendwann zwischen dem vierten und fünften Bildungsweg fiel mir auf, dass ich wohl alle Ziele im Leben nur über Umwege erreiche. Das Direkte liegt mir eben nicht sehr. Man sagt Menschen mit großem Mundwerk ja oft, dass sie sehr „direkt“ seien, was sie komischerweise oft als Kompliment auffassen und stolz vor sich her tragen. Das Indirekte gilt nun aber auch als falsch, da es oft mit intrigant gleichgesetzt wird. Es fehlt einfach ein schönes Adjektiv, das Umwege beschreibt. Ich kann mich ja schlecht als umweglichen Menschen bezeichnen. Andererseits: Doch, das kann ich eigentlich mal tun. Ich bin ein umweglicher Mensch.
Das ist nicht einmal im übertragenen Sinne gemeint, sondern manifestiert sich auch im Alltag. Der direkte Weg vom Stöckach zur Werderstraße führt beispielsweise die Neckarstraße entlang. Die Neckarstraße ist jedoch schlimm! Das gilt für beide Straßenseiten. Sie ist laut und voller Ampeln mit merkwürdigen Schaltzeiten. Diese kann man ja meist ignorieren, aber dann steht auf der anderen Straßenseite irgendjemand, der tatsächlich wartet. Es ist reiner Psychoterror, über eine rote Fußgängerampel zu gehen, wenn auf der anderen Seite jemand steht und wartet. Soll man das selbstbewusst tun und es als rebellischen Akt gegenüber einem willkürlichen Faschostaat betrachten, der Ampeln an unnötigsten Stellen aufstellt, nur um den kleinen Mann von der sprichwörtlichen Straße zu drangsalieren? Oder soll man verschämt zu Boden gucken, wissend, dass hier die Demokratie als solche auf dem Spiel steht, mindestens aber die gute Ordnung?
Und was sind das für Menschen, die den Fußgängerweg auf der faschen Gehwegseite benutzen? Es ist doch Rechtsverkehr, der gilt doch auch für Fußgänger. Es ist für einen Soziophobiker wie mich ohnehin ein ständiger Stress, mit entgegenkommenden Menschen fertig zu werden. Gehen sie auch noch auf der falschen Gehwegseite, zeichnet sich ein Konflikt ja meist schon auf etwa 50 Meter ab. Zeit genug für Schweissausbrüche und paranoide Gedanken. Ich nenne diese Situation innerlich „britisches Roulette“, verliere aber in der Regel. Und ist es nicht eh ungeheuer verlogen, einerseits über rote Ampeln zu gehen, andererseits aber Rechtsverkehr für Fußgänger zu fordern?
Wie entgeht man also nun diesem inneren Zwist? Eben: Über Umwege. Statt also den Spießrutenlauf namens Neckarstraße zu ertragen mache ich vorher einen Schlenker:
Auf diesem Randweg, dem nicht einmal Google Street View Beachtung schenkt, hat man seine schöne Ruhe. Es gibt auch gemütliche Seitengassen, wie man sie aus Filmen kennt, die in New York spielen (wenn auch ohne dampfende Gullideckel).
Dass Umwegen weniger Beachtung geschenkt wird, ist eben ihr Wesen und macht sie für umwegliche Menschen zu Brüdern im Geiste. Wahrscheinlich hat jeder Mensch eine Straße, die nur für ihn geschaffen scheint, und ist es für den Harley-Kitsch-Fan die Route 66, ist es für mich wohl die Reitzensteinstraße, deren Namen ich bis eben nicht einmal wusste – so unwichtig ist sowas. Und wo wir gerade von Kitsch sprechen: Im Winter überraschte mich meine Straße doch tatsächlich mit diesem schönen Herzen, welches sich durch den Schnee schmolz:
sehr schön!
Solange du noch merkst, dass Ampelsteher und Rechtsgeher Seelenverwandte sind, ist noch nicht alles verloren 😉
P.S: Bin im März wahrscheinlich auf nem Debattierturnier in Stuttgart – vielleicht können wir uns da mal wieder sehen?
Sehr gerne! Ich bin da irgendwann auch im Praktikum, aber die Zeit finden wir schon.
Du hast gebloggt! Ich finde das immer so schön, wenn du mal wieder bloggst. (auch wenn ich nur zu gut nachvollziehen kann, wenn so vieles so oft so ungebloggt bleibt. ähä.)
Dein letzter Eintrag ist auch schon wieder vom letzten September. Da war ja auch noch ganz viel ganz anders, schade, dass es so ruhig dort geworden ist. Ich hoffe, Du findest mal wieder Zeit – ich bin da aber pessimistisch (im optimistischen Sinn… häh?).
September. Jessas, du hast recht! Ja, ich hoffe auch, dass ich bald mal wieder Zeit finde. An Themen mangelt es mir jedenfalls nicht. Alles so aufregend und in meinem Bauch rumpelt es vergnügt. 😉 Nur bloß nicht, dass ich hinterher so ne Mama-Windel-Blogtante werde. (…ich werd mich hüten!) (…hoffe ich…)
Ich kann Deine Phobien nur bedingt nachvollziehen. Aber ich gehöre zu den Menschen, die keine Lust haben, alles jeden Tag immer auf die gleiche Art und Weise zu machen. Insofern sind Umwege oder einfach nur Abweichungen vom Hauptstrom mir ein inneres Bedürfnis.
Pingback: Was Samuel Becket und mich verbindet | social issues and stuff