Bibliothek 21

Vor einigen Wochen Vor drei Monaten (!) habe ich mich ein wenig skeptisch zur neuen Stuttgarter Bibliothek geäußert. Mir wollte nicht so recht in den Sinn, wie die schwer durchschaubare Innenarchitektur den Ansprüchen einer Bibliothek, die ja zuvorderst dem Bürger in all seiner Vielfalt als Informationsdienstleister, nun, dienen soll, gerecht werden kann.

Heute hatte ich nun die Gelegenheit, mir das Gebäude einmal genauer anzusehen.

Der Würfel ist gebaut.

An der Fassade hat man sich relativ schnell satt gesehen. Dies mag sicher damit zusammenhängen, dass ich direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite studiere, andererseits ist die Form eben auch sehr reduziert. Es gibt für alles einen Grund, und hier ist es laut OB Schuster eben der, dass die strenge Form des Gebäudes „im bewussten Kontrast zur lauten, bunten und flüchtigen Eventkultur unseres Alltags“ stehen soll. Auch wenn ich mich persönlich ebenfalls nicht so recht mit dem Quader anfreunden mag, es gäbe sicher Begründungen, die ich hätte gelten lassen können. Dass die Bibliothek sich aber ganz bewusst gegen Leben und Spaßgesellschaft stellen und die strenge Form tatsächlich und wortwörtlich auch als „streng“ empfunden werden soll, mag ich nicht glauben. Das dürfte eher Schusters ganz persönliche Interpretation des Würfels sein (das ist toll: für das Gebäude gibt es praktisch unendlich viele Synonyme).

Alte Frau liest.

Es ist ein Tag vor der eigentlichen Eröffnung, und schon haben sich die Leser der alten Bibliothek ihre Stammplätze gesichert. Manche Stühle hat man an diesem Tag zum letzten Mal unbesetzt gesehen. Hoffentlich gefallen den neuen Besitzern ihre Plätze. Manchem mag aufstoßen, dass es im Zeitungsbereich kaum Einzelplätze gibt, so dass man sich im Zweifel zu viert an einen Tisch setzen muss. Dafür gibt es in den Wänden eingelassene Bildschirme, auf denen in der ersten Zeit Lesungen gezeigt werden, später dann Burger King TV.

Die Hinweisschilder sind elektronisch und von der Gesamtsituation noch ein wenig überfordert:

„Punkt 151 auf unserer Fehlerliste“ – Samuel L. Jackson, Jurassic Park

Aus der Mitte entspringt ein Fluss.

Der abgeschlossene Hohlraum, der die ersten drei Stockwerke der Bibliothek für sich in Anspruch nimmt, wird das „Herz“ genannt. Der Grund ist, dass das metaphorische Herz ein unverständliches Objekt ist, an dem sich Schriftsteller seit Jahrhunderten die Zähne ausbeissen. Und so ist es auch mit diesem Raum. Versteht keiner, macht sich aber gut. Ursprünglich sollte ein mit Wasser gefüllter Burggraben das gesamte Gebäude umfassen. Aus Kostengründen hat man sich für eine gleichwertige Alternative, nämlich den oben abgebildeten Brunnen, entschieden. Dieser befindet sich genau in der Mitte des Herzens und wird von allen übersehen. Auf diese Weise soll ein stetiges „Platsch“-Geräusch durch hineinstolpernde Nutzer erzeugt werden, das an die Vergänglichkeit allen Seins erinnert.

So voll wird's nie wieder.

Schreitet man zum ersten Mal in den oberen Bereich der Bibliothek, klappt einem in der Tat erst einmal die Kinnlade herunter. Die Offenheit der Halle ist ein erstaunlicher Effekt und steht im heftigen Kontrast zu den beengten Gängen der unteren Etagen, in denen die Bücher dem Herz weichen müssen. Dennoch: Die Bücher wirken auch hier wie Fremdkörper. So beeindruckend der Raum ist, so wenig fühlt man sich doch in einer Bibliothek. Fast schon verschämt drücken sich die Buchregale an die kahlen Wände, um der umgedrehten Pyramide genug Raum zu geben, sich selbst zu präsentieren.

Nicht im Bild: Leben.

Man kann der Bibliothek 21 (to the future!) nicht vorwerfen, mit Kitsch um sich zu schlagen. Alles ist äußert (oder innerst?) reduziert und erinnert an einen Science Fiction-Film neueren Kalibers. Minority Report, iRobot. Mnml. Designed by Apple. Das ist einfach mal wertfrei festgestellt. Es muss sich zeigen, ob das Design Bestand hat und das Weiss auch wirklich Weiss bleibt. Selbst die Kinderabteilung ist größtenteils steril und bietet lediglich wenige thematisch abgeschirmte Bereiche, die ein wenig bunter sind.

Die Bibliothek ist weit weniger schlimm, als befürchtet. Sie ist ein beeindruckendes Gebäude mit vielen Ideen, die man so vorher noch nicht gesehen hat. Aus bibliothekarischer Sicht finde ich den Aufbau allerdings äußerst konfus und das Leitsystem zu schwach. Das Suchen konkreter Literatur wird für Neunutzer sicher nicht einfach, und die vielen, vielen, vielen Ecken laden nicht dazu ein, ein wenig zu stöbern.

Noch mehr Bilder gibt es unten. Leider hat die Bibliothek eine Woche vor Eintreffen meiner Kamera eröffnet, so dass das alles Handy-Schnappschüsse sind:

Bibliothek 21

Kommilitone und heutige Begleitung Patrick geht in seinem Artikel noch etwas näher auf den Aufbau und die Systematik ein.

Werbung
Dieser Beitrag wurde unter Here and now abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

4 Antworten zu Bibliothek 21

  1. uli schreibt:

    Nachts sieht das wie ein eben gelandetes Raumschiff aus, innen wie ein Wirklichkeit gewordenes Escher-Bild. Architektonisch also ein Knaller. Ob’s zur Nutzung von Literatur geeignet ist, mag der Bibliothekar und am Ende der Benutzer rausfinden.

  2. causa prima schreibt:

    Schön, dass auch mal „moderne Architektur“ bei euch ankommt. Ich will ja nicht angeben, aber bei uns gibt es sowas schon seit.. langem: http://bit.ly/v0EcYW

  3. Pingback: Amazon eröffnet digitale Bibliothek • Winload-News

  4. Pingback: Stadtbücherei Stuttgart | stuttgartlocation

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s