Deus Ex Machina

Man kann ja alles mit Facebook „connecten“. Gibt kaum noch eine Seite, die da nicht mitmacht, dann interverlinkt man das ganze mit Twitter, soup.io, seinem Blog und der Daily Show und alles, was man sagt, taucht auf n verschiedenen Plattformen auf (und das Ganze ist sowieso mit der echten Welt verlinkt, und anders als die 80er es uns vorhergesagt haben, drahtlos).
Und es gibt dieses Konzept der Belohnung, das in diesen ganzen Facebook-Spielen Einzug gehalten hat, Farmville, Mafia Wars, wie sie alle heissen, auch gibt es die Achievements bei XBox-Live oder Steam und das ist alles wunderbar witzig und originell, ich versuche mich dem immer noch ein wenig zu entziehen und mache diesen ganzen Facebook-Müll garnicht mehr mit und blocke da auch alles, was kommt.

Jesse Schell hat das ganze einmal extrapoliert, er hat eine Rede auf einer Entwicklerkonferenz gehalten, die ich jedem anzusehen anraten möchte, einbinden lässt sich der Spaß hier leider nicht.

Is your life just one big RPG?

Es sieht ein wenig so aus, er überträgt das Achievement-Modell auf das reale Leben und steigert sich in eine faszinierende Welt hinein, die wohl unausweichlich auf uns zu kommt. Es ist ja schon so: Paybackpunkte lassen grüßen (Gruß zurück!). Wir sammeln Paybackpunkte und haben wir genug, *ding*, wird das Achievement Kaffeetasse oder Wasserball freigespielt. Und eines Tages wird es dann so weit sein, dass wir uns die Zähne putzen und der Sensor in der elektrischen Zahnbürste gibt uns 5 Punkte, weil wir länger als 3 Minuten die Zähne putzen, und noch mal 10, weil wir das 7 Tage am Stück geschafft haben. Wir fahren dann mit der U-Bahn zur Arbeit, und der GPS-Sensor merkt dies und gibt uns 10 Punkte für das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel. Wir haben an diesem Morgen schon für 15 Punkte das Gesundheitssystem entlastet und für 10 Punkte die Umwelt geschont, das kommt alles auf unser staatliches Konto und lässt sich von der Steuer absetzen.

Und der Amazon-Kindle sieht nicht nur, welche Bücher wir kaufen, sondern auch, ob wir sie lesen. Das gibt dann nicht nur für das Kaufen Punkte, sondern auch für das Nutzen, und dann ist da die Liste bei amazon, die, weil man die Datenschutzbestimmungen nicht liest, für jeden einsehbar ist. Jeder sieht, welches Buch man gelesen oder auch unterbrochen hat. Hat man das Gesamtwerk von Konsalik gelesen, gibt es 500 amazon-Punkte, für J. D. Salinger nur einen.

Soweit Schells Ideen, die ja nicht gänzlich unplausibel scheinen. Viel zu kurz geht er noch darauf ein, inwieweit das unser Handeln beeinflusst – wenn jeder sehen kann, welche Bücher man gelesen hat, ändert man dann nicht automatisch sein Leseverhalten? Ich sehe es ja an mir, ich habe aus irgendwelchen Quatschgründen Twitter mit Facebook verbunden, 3/4 meiner Tweets lösche ich dann wieder händisch bei Facebook, weil da meine halbe Schulklasse (*sigh*) mitliest und das rafft dann keiner oder versteht es falsch und das will ich nicht.
Er sieht darin aber eine große Chance, er glaubt, dass deswegen alle zu besseren Menschen werden, da man ja nicht will, dass die Enkel erfahren, was man für schlimme Bücher gelesen hat. Daher liest man nur noch gute, oder besser, „genehme“ Bücher. Was er als Chance sieht, sieht doch eigentlich jeder andere als Gefahr, oder irre ich mich da? Ich empfinde es jedenfalls so.

Und dann ist da noch dieser Gedankengang, der mir da kam. Als Atheist sehe ich Gott als Konstrukt, das über Generationen entstanden ist und sich aus unterschiedlichsten Gründen zu dem entwickelt hat, als dass es heute wahrgenommen wird. Unter anderem eben auch diesem: Es brauchte eine moralische Instanz, um die Gesellschaft zusammenzuhalten, eine Figur, vor der sich jeder dereinst zu rechtfertigen haben wird. Nur so konnte man sichergehen, dass die Gesellschaft nicht zurück in die Barbarei abgleitet, aus der sie gerade erst entwachsen ist. Die frommsten begingen keine Sünden, allein aus Angst, dass „der da oben“ es sieht und irgendwann über einen richten wird.
Und in diesem Fall ist es wieder so: die Menschen ändern vielleicht ihr Verhalten aus Angst, dass spätere Generationen über einen richten werden, weil jeder Aspekt seines Lebens irgendwo archiviert ist. Das ist aus zweierlei Gesichtspunkten interessant: einerseits haben wir so unseren Gott (wieder einmal) selbst erschaffen, nur eben mit der Gewissheit und der technologischen Nachvollziehbarkeit seiner Existenz.
Und zweitens haben wir uns mit dem archivierten Leben auch die moderne Antwort auf die Frage nach dem „Leben nach dem Tod“ gegeben.

Die andere große Legitimation Gottes, das Stiften eines Sinnes im Leben, kann uns sein Update allerdings auch nicht bieten. Da müssen wir schon noch selbst durch.

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8 Antworten zu Deus Ex Machina

  1. cosmo schreibt:

    Die Wahl des Titels für einen Artikel mit dem Gedankengang ist witzig: In Ion Storms „Deus Ex“ wird ungefähr das auch diskutiert. Die KI Morpheus ist da so etwas wie ein Dataminer, der alle Informationen über jeden Einzelnen bündelt und die Menschen daher einschätzen und bewerten kann. JC Denton verurteilt das schwer, aber Morpheus argumentiert, dass es genau das, was Menschen gerne möchten: Die Bewertung ihres Verhaltens durch eine überlegene Instanz.

    Schon jetzt steuert der Gedanke ja unser Handeln online (und er beeinflusst die, die ihn sich nicht machen, wahrscheinlich zu ihrem Nachteil): Wir schreiben lieber nichts aus dem Affekt heraus, twittern nicht besoffen und wählen sehr genau aus, welche gern von uns besuchten Websiten wir als Link weitergeben – weil das, was wir online stellen, noch in vielen Jahren ein Bild von uns zeichnen wird (anders als das, was wir daheim bereden).
    Die Allverfügbarkeit unserer Äußerungen und das Credo „Das Netz vergisst nichts“ verändern schon jetzt unser Verhalten – wegen der Beurteilung, die andere über uns fällen werden.

  2. Sebastian schreibt:

    Ich habe mich in Deus Ex immer für Anarchie entschieden 🙂

    (stimmt nicht, natürlich gab’s da immer 3 Speicherplätze vor Schluss)

  3. cosmo schreibt:

    Und das ist ja das Tolle daran, wie DE den Cyberpunk versteht: Es gibt keine wirklich guten Lösungen. Nur auf verschiedene Arten schlechte.

    Wenn man will, kann man die RPGisierung unseres Lebens auch so sehen: Weg geht das jedenfalls nicht mehr.

  4. causa prima schreibt:

    „Was er als Chance sieht, sieht doch eigentlich jeder andere als Gefahr, oder irre ich mich da?“
    Keiner ist ganz im Unrecht.
    Natürlich führt sowas zur Selbstzensur, zumindest bei den Leuten, die interessiert, was andere über einen denken. Die Pornoindustrie würde dann wohl dich machen können.
    Und natürlich ist es ein leichtes all diese Daten zu missbrauchen.
    Aber was ist mit den Leuten, die bei sowas nicht mitmachen? Ich hab‘ jetzt schon kein Facebook, Twitter, Blog oder solch Zeugs.
    Und wegen der „Datensammelwut“ wieder das Pseudototschlagargument: Wer nichts zu verbergen hat, der braucht davor auch keine Angst zu haben. Es ist ja auch alles nur ein Spiel.

    Ich glaub‘ nicht wie er, dass das so schnell kommen wird, zumindest nicht hier bei uns (ich weiß ja nicht, wie es in den USA aussieht). Dafür sind wir hier zu wenig vernetzt, als das sich das durch alle Bevölkerungsschichten hindurch auf breiter Front verbreiten würde, wodurch es auch nicht die von ihm beschriebenen Ausmaße annehmen könnte.

  5. Sebastian schreibt:

    Die, die diesen Kram nicht mitmachen, werden ihr Leben weiterleben wie bisher auch, diese ganzen Schreckensszenarien, die von Jungmanagern gemalt werden, sind natürlich Unsinn (so wie wir schon in den 90ern beim Bewerbungstraining gelernt haben, dass „ohne Computer nichts mehr geht“, was auch ein herrlicher Blödsinn ist).
    Wie breit die Front letztendlich sein wird, hängt eben auch davon ab, wie einfach es einem gemacht werden wird, und eben da sind in den letzten paar Jahren schon enorme Fortschritte gemacht worden.

  6. MuGo schreibt:

    Das Problem besteht für mich ja eher in Firmen wie Google, die freundlicherweise für mich mitdenken und mir gar keine andere Wahl lassen, als mich komplett für oder gegen einen Service zu entscheiden.

    Ich will ja viele Sachen im Internet gerne nutzen – aber nur, wenn das Internet meine verdammte Privatsache bleibt! Ich will damit kein Dings und kein Bums machen MÜSSEN, ich will es DÜRFEN. Und daran scheitert ja die ganze lustige IT-Mafia: Mir einfach die verfickte Wahl zu lassen. Ich will einfach sicher gehen, dass ich auch noch in 20 Jahren digitale Speichermedien, die mit Filmen oder Musik bestückt sind oder papierne Bücher kaufen kann; derzeit habe ich aber eher den Eindruck, dass alle neuen Standards einzig und allein online sein sollen. Was bleibt mir denn da anderes übrig, als zum arroganten Mainstreamverweigerer zu werden?

  7. Amenogold schreibt:

    In Zeiten in denen wegen der gestiegenen Produktivität, immer weniger Meschen über Arbeit und Einkommen verfügen fehlen auch die Kunden, die genügend Geld zum Einkaufen haben. Um hier ein neues Gleichgewicht zu schaffen müssen neue Einkommensquellen generiert werden. Das beschriebene Punktesytem wäre ein Ansatzpunk, sofern diese Punkte kapitlisierbar und damit handelbar gemacht würde. Aber auch persönliche
    Verschmutzungsrecht {wie beim internationaken CO2 Handel bereits üblich}, oder Vertragsbindungen oder andere Rechte könnten kapitalisiert werden und damit neue Einkommen schaffen, die die Konsumwelt weiter am Laufen halten.
    Schön nicht?

  8. Pingback: “Die Klinge des Schwertes” (oha) « social issues and stuff

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