Ich bin 3 Jahre alt. Wir sind auf einem Schiff, ein großes Schiff, ein Kriegsschiff. Wir besichtigen es, weil es zu Besuch ist und man es darf. Es ist aufregend, ich tobe herum, bestaune riesige Kanonen, gehe in den Maschinenraum und kriege Angst. Es ist laut. Alleine renne ich wieder nach oben, schaue über die Reling und fange an zu weinen. Wir haben abgelegt, das Ufer ist so weit weg.
Ich laufe umher, immer noch so viele Menschen, ich suche meine Eltern. Sie sind auf der anderen Seites des Schiffs, bei der Brücke, die an Land führt. Das erste Mal in meinem Leben ist mir etwas peinlich.
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Ich bin 4 Jahre alt. Wir sind im Heidepark. Der Heidepark ist riesig. Mein Bruder soll auf mich aufpassen, wir gehen in die Krokodilshow. Ein Mensch steckt seinen Kopf in das Maul eines Krokodils und alle jubeln. Die Show ist zu Ende, wir wollen zu unseren Eltern laufen. Mein Bruder läuft, ich bin zu langsam. Ich bin allein. Der Park ist groß. Ich laufe in alle Richtungen, fast gleichzeitig. Eine rote Mauer aus Backsteinen, ich laufe mindestens vier mal in einer halben Stunde an ihr vorbei. Die Mauer ist höher als ich, vielleicht einen Meter. Laufe vorbei an dem See mit der riesigen Freiheitsstatue „ein Geschenk der Europäer an die vereinigten Staaten“ heisst es auf dem Schiff auf dem See, wo ist Europa?
Laufe vorbei an Süßwarenständen und am riesigen Wasserhahn am Eingang. Beim fünften Mal an der Mauer fange ich an zu weinen. In dem Augenblick tauchen meine Eltern auf, gerade, als ich anfange zu weinen. Mein Bruder ist bei ihnen, er weint auch. Ich glaube, er hat Ärger bekommen. Ich glaube, ich bin schuld.
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Ich bin 6 Jahre alt. Mit meinem Freund Martin gucke ich Kampfstern Galaktika auf Video und spiele He-Man. Er hat eine Idee. Wir fahren mit dem Fahrrad nach Travemünde. Es sind 10 Kilometer, ich war hier noch nie alleine, nur mit Erwachsenen. Ich esse eine Wurst mit Ketchup, er mit Senf. Er hat eine Idee. Wir spielen ein Spiel, wir fahren mit unseren Fahrrädern die Bootsrampe runter, wer zuerst den Lenkrer rumreisst, verliert. Ich bin mutig. Nein, ich bin dumm. Ich fahre geradeaus ins Wasser, mein Fahrrad versinkt. Ich ziehe es heraus, ich bin klitschnass.
Es wird dunkel, wir fahren nach Hause. Ich komme an unserem Haus an, aus dem Fenster ruft unsere Nachbarin, die Besitzerin des Friseurladens unter uns, gegenüber dem Kondomautomaten. Meine Eltern sind krank vor Sorge, mein Vater fährt mit dem Auto die Gegend ab. Meine Mutter will die Polizei rufen. Ich traue mich hoch. Heute wäre mein erster Tag bei der Krankengymnastik gewesen, höre ich. Meine Mutter ist nicht böse. Ich habe Angst vor meinem Vater, er ist mit dem Auto unterwegs und sucht mich. Wenn der zurückkommt… Er kommt zurück. Er ist nicht böse.
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Ich bin 8 Jahre alt. Es ist Sommer, wie immer. Wir sind mit unseren Nachbarn am Hemmelsdorfer See an der Badeanstalt, Eintritt 50 Pfennig. Es ist 17 Uhr, ich fahre alleine nach Hause. Gleich am Anfang die Gabelung, muss ich nach rechts oder muss ich nach links? Ich fahre nach rechts.
Eine Ewigkeit später bin ich am Timmendorfer Strand, falsch, ganz falsch. Ich fahre zurück, fahre über Bauernhöfe. Zwei Mädchen, vielleicht 12, fragen, ob ich mich verfahren habe. Die Wahrheit ist mir peinlich, ich fahre schnell weg. Um 19 Uhr reicht es mir, ich suche Kleingeld, um von einer Telefonzelle zu Hause anzurufen. Ich habe nur noch 20 Pfennig, blöde Pommes. Ich fahre weiter. Ich fahre in einen Wald, ich kenne den Wald. Ich bin in meinem Wald! Ich freue mich, ich gebe Gas. Hinter mir hupt ein Auto. Es ist mein Vater, er hat mich gesucht. Mal wieder. Es ist 20 Uhr, endlich daheim.
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* Dieses Foto entstand tatsächlich beim Besuch der Fregatte Lübeck in ihrer Patenstadt im Mai 1984. Das ist 25 Jahre her und ich bin einigermaßen begeistert, dass ich es im Netz gefunden habe.
Ich bin 28 Jahre alt und ich habe es noch nicht einmal geschafft, eine neue Strecke mit dem Auto auf Anhieb richtig zu fahren.
Ich bin 23 Jahre alt und habe keine Ahnung, wie ich dorthin gekommen bin.
Aber mal tief, tief aus dem Nähkästchen: Mir wurde auch mal nachgesagt, dass ich mich verlaufen hätte. Ich muss zwischen 3-5 Jahren alt gewesen sein. Meine Familie ist Einkaufen gefahren und ich bin dem Auto hinterhergerannt bis ich irgendwann im Wald war. Da habe ich mich auf einen Baumstumpf am Straßenrand gesetzt und bitterlich geweint. Eine Bekannte hat mich so aufgefunden und nach Hause gebracht. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie hoch die Autotür war, ich muss also folglich noch sehr klein gewesen sein. Meine Eltern nahmen an, dass ich mich verlaufen hätte, ich habe aber nur geweint, weil ich mich verlassen gefühlt habe.
(Im Wald verlaufe ich mich nie, das passiert mir höchstens in Städten)
Ich mag übrigens Einträge dieser Art sehr.
Meine Orientierung ist an sich ganz in Ordnung, sofern meine geographische Vorstellung mich nicht wieder täuscht (am Anfang musste ich sehr damit kämpfen, dass die Elbe in Dresden von Ost nach West fließt und nicht von Süd nach Nord).
Aber ich kann mich auch noch daran erinnern, wie ich mit meinem Opa auf dem Kajenmarkt in Bremen war und er dann plötzlich verschwunden war. Ich muss da auch eine Weile rumgeirrt sein, aber letztendlich müssen wir uns ja wieder gefunden haben…
Heute waren wir wandern auf einem kleinen Berg, selbt da haben wir uns verlaufen. Und natürlich auf der Hinfahrt verfahren. Es ist ein Gipfelkreuz.
Vielleicht solltest du zum Orientierungslauf nach Meißen kommen. Muss ein super Event sein, die machen sogar Werbung in unserer Campuszeitung!
Oha!
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